Mekka-Zeit aus Calw

22.02.2012

Größte Turmuhr der Welt
Vier Jahre lang haben Uhrenspezialisten aus dem Schwarzwald an der größten Turmuhr der Welt gearbeitet. Sie steht in der Stadt Mekka – und wird via Internet aus Deutschland gesteuert.

Jeder Muslim, der in das saudi-arabische Mekka pilgert, behält die Turmuhr mit ihrem 22 Meter langen Minutenzeiger und ihrem 17 Meter langen Stundenzeiger in Erinnerung. Das Zifferblatt misst 43 Meter im Durchmesser. Nachts leuchten die Ziffern der Turmuhr grün, tagsüber weiß. Die gigantische Uhr thront auf einem Turm eines Einkaufszentrums in Mekka. Mit rund 1,5 Millionen Quadratmetern ist der für die Pilger gebaute Gebäudekomplex der größte der Welt. Auch die Turmuhr erfüllt jeden Superlativ, ihr Zifferblatt lässt sich noch in mehr als acht Kilometern Entfernung ablesen. Die Uhr soll den Pilgern helfen, die Gebetszeiten einzuhalten, die auf elektronischen Schriftbändern angezeigt werden.

Die 2011 am Ende des Ramadan vom saudischen König Abdul Aziz ihrer Bestimmung übergebene "Makkah Clock" wäre wohl ohne das 152 Jahre alte Calwer Familienunternehmen "Perrot Turmuhren" niemals verwirklicht worden. Vier Jahre haben die Uhrenbauer aus dem Nordschwarzwald an dem Projekt gearbeitet, sogar der 82 Jahre alte Seniorchef Heinrich Perrot zeichnete noch Konstruktionspläne. "Da war nichts, was wir verwenden konnten, das war, wie wenn eine Firma neu in die Formel 1 einsteigt", sagt Christoph Perrot, einer der Geschäftsführer des Uhrenbauers. Solche Sonderkonstruktionen entwickelten sich Schritt für Schritt. Im Uhrturm sind mehrere Cäsium-Uhren eingebaut, die - analog zur "Greenwich Mean Time" - die sogenannte Makkah-Time generieren. Vom zentralsten Ort des islamischen Glaubens wird ein zentrales Zeitsignal gesendet.

Einjähriger Probelauf

Entwickelt haben die Technik deutsche Ingenieure, und sie überwachen und betreuen die technisch anspruchsvolle Uhr per Internet sogar weiter aus dem Nordschwarzwald. Perrot, der aus einer vor Jahrhunderten aus Norditalien eingewanderten Waldenser-Familie stammt, verstand den Auftrag des saudischen Königs auch als interreligiöses und interkulturelles Projekt. "Wir verstehen uns als christliche Firma. Wenn wir religiös klar sind, werden wir akzeptiert. Nur das Schweigen über unsere Religion ist für Muslime unverständlich", sagt Perrot. Da Christen zu den heiligen Stätten der Muslime in Mekka keinen Zutritt haben, musste die Firma einen islamischen Ingenieur einstellen. "Der ist von uns geschult worden, die Installation der Turmuhr haben wir einer muslimischen Firma aus der Türkei übertragen. Jetzt können wir die Turmuhr per Internet steuern", sagt Perrot. Die "Mekka Royal Clock" ist auch die größte solarbetriebene Turmuhr der Welt.

Die Uhr auf dem 600 Meter hohen Turm soll mindestens 100 Jahre zuverlässig die Zeit anzeigen, eines der fünf Uhrwerke haben die Perrots deshalb ein Jahr zur Probe laufen lassen. Die Zeiger sind aus einem Kohlefaser-Verbundstoff gefertigt, sie haben eine aerodynamische Form und sind mit einem Blitzableiter ausgestattet, der bei Gewittergefahr automatisch ausfährt. Die Zahnräder des Uhrwerks fertigte ein Mittelständler aus dem südbadischen Wehr. Als Werkstoff wählten die Ingenieure eine besonders harte Spezialbronze. Weil ein Zeiger 7500 Kilogramm wiegt, mussten für die Uhr außergewöhnlich starke Zeigerantriebe konstruiert werden. Anspruchsvoll war es auch, das 21 Tonnen schwere Uhrwerk, vermutlich das schwerste, das jemals gebaut worden ist, in 426 Metern Höhe zu installieren. Vertraglich hat sich die Firma gegenüber dem saudischen Königshaus verpflichtet, nur wenige Details zu veröffentlichen, so muss Christoph Perrot über den Preis der Turmuhr schweigen.

Die Firma Perrot hat mit ihrer starken Spezialisierung auf Turmuhren den Niedergang der Uhrenindustrie im Schwarzwald überlebt. Die Perrots produzieren auch Figurenspiele, Glockenspiele oder astronomische Uhren. "Sie können sich nie auf der Tradition ausruhen, sie brauchen immer Tradition mit dem Blick nach vorn, und da ist der Arbeitstag nach zehn Stunden nicht zu Ende", sagt Perrot. Die Traditionspflege fällt den Perrots leicht, mit Stolz verweisen sie auch darauf, dass der damals noch unbekannte Dichter Hermann Hesse von 1894 bis 1895 in ihrer Firma gearbeitet hat. Einige seiner Eindrücke hat der in Calw geborene Schriftsteller in seinem Roman "Das Glasperlenspiel" verarbeitet.

Source: Rüdiger Soldt / Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Feb. 2012