Russland drängt auf mehr Lokalisierung (Jahresbericht 2012)

17.12.2012

Dr. Philipp Walther – BPS Medical, Michael Winkler – Erbe Elektromedizin OOO

Mit dem „Nationalprojekt Gesundheit“ wurde 2006 die Reform des Gesundheitswesens in der Russischen Föderation begonnen. In den letzten Jahren wurden nahezu 800 Milliarden Rubel in das Gesundheitswesen investiert, dies vor allem in die technische Ausstattung von Krankenhäusern und Polikliniken sowie in das Rettungswesen. Die Mittel für das Modernisierungsprogramm wurden anteilig aus dem föderalen Sozialversicherungsfond (391 Milliarden Rubel), den regionalen Versicherungsfonds (131 Milliarden Rubel) und von den Budgets der einzelnen Regionen (113 Milliarden Rubel) bereitgestellt. Es wurden vor allem onkologische, kardiologische und gynäkologische Zentren in den Regionen mit Medizintechnik neu ausgestattet. Dabei wurde bei den Ausschreibungen Wert darauf gelegt qualitativ hochwertige Technik zu beschaffen.

Mit dem Nationalprojekt ging auch eine Vielzahl von Gesetzesänderungen in den vergangenen Jahren einher. Die wichtigsten neuen Gesetze im Gesundheitswesen waren das 2010 verabschiedete Krankenversicherungsgesetz und 2012 das Föderalgesetz über die Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation. Hiermit haben nun auch die Leistungserbringer im öffentlichen Gesundheitswesen die Möglichkeit zusätzliche Finanzierungsquellen heranzuziehen. Dies bedeutet vor allem, dass Patienten bestimmte Privat-Leistungen in Rechnung gestellt werden. Des Weiteren definiert das Gesetz „medizinische Organisationen“, die nicht nur staatliche sondern auch private medizinische Einrichtungen beinhalten. Somit werden nun auch private medizinische Einrichtungen explizit für die Gesundheitsversorgung genannt, was einerseits einen zunehmenden Einfluss des Staates (z.B. bei Mindeststandards), aber andererseits auch Vorteile wie eine erleichterte Zusammenarbeit mit den gesetzlichen Krankenversicherungen bedeutet.

Im Dezember 2012 hatte der russische Premierminister Dimitry Medvedev bereits das Programm der Gesundheitsentwicklung bis 2020 unterzeichnet. Vorgesehen sind Investitionen von mehr als 33 Billionen Rubel, die in zwei Stufen erfolgen soll (2013-2015 und 2016-2020). Es beinhaltet 11 Unterprogramme: Unter anderem „Prophylaxe von Krankheiten und Aufbau einer gesunden Lebensweise“, „Entwicklung der ersten medizinischen Hilfe“ und Entwicklung und Einführung von innovativen Methoden der Diagnostik und Behandlung“. Ziele sind im Wesentlichen eine Steigerung der durchschnittlichen Lebenserwartung auf 74,3 Jahre (in 2011 – 68,84 Jahre), die Senkung der Mortalität bei Mutter und Kind, sowie aufgrund von kardiovaskulären Erkrankungen, Autounfällen, Krebs und Tuberkulose. Nicht zuletzt soll der Alkoholkonsum von derzeit jährlich 16 Liter pro Person auf 10 Liter und der Anteil der Tabak konsumierenden Bevölkerung von 40% auf 25% gesenkt werden.

PRIORITÄT DER REGIERUNG – LOKALISIERUNG

Julius Krüger - Fresenius Medical Care Deutschland GmbH, Vorsitzender der AG Gesundheitswirtschaft

Das Thema „Lokalisierung von pharmazeutischer und medizintechnischer Produktion “ ist und bleibt in der russischen Regierung ein wichtiger Punkt auf der Tagesordnung. Nachdem Premierminister Medwedew im Oktober in Kaliningrad zu einer Kabinettsitzung über dieses Thema eingeladen hatte, wurde das Industrieministerium mit der Ausarbeitung einer Regierungsbeschluss-Vorlage beauftragt. Diese soll im Rahmen der Strategie „Entwicklung der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie in Russland bis zum Jahr 2020“ weitere Anreize zu einer Lokalisierung ausländischer Hersteller formulieren schaffen. Weiterhin sollen auch die Rahmenbedingungen konkretisiert werden, z.B. soll genauer definiert werden, welcher lokale Fertigungsanteil für eine anerkannte lokale Produktion überhaupt erforderlich ist.

Zu diesem aktuellen Thema organisierte die AG Gesundheitswirtschaft im Dezember 2012 eine mit rund 100 Teilnehmern gut besuchte Fachkonferenz in den Räumen der Deutschen Botschaft Moskau.  Neben Fachvorträgen zu einzelnen Schwerpunktthemen, wie z.B. Zertifizierung, Zoll, etc. gab es auch sehr ermunternde Praxisvorträge von Unternehmen, die bereits vor Ort in Russland fertigen. 

Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich das Thema weiterentwickeln wird. Die AHK wird auch in diesem Jahr in einem auf Austausch mit den russischen Behörden bedachten Dialog versuchen, die Interessen deutscher Unternehmen einzubringen.

ENTWICKLUNG DER PHARMABRANCHE IN 2012

Rita Bobro  - Merck LLC

Gegenwärtig macht der Jahresumsatz der russischen Pharmabranche 16 Milliarden Euro aus, obwohl laut Angaben der russischen Marktforschungsagentur DSM Group ein duchschnittlicher Russe lediglich 56 US-Dollar für Arzneimittel ausgibt, d.h., deutlich weniger als in anderen Industriestaaten (in Deutschland sind es mehr als 400 US-Dollar).

2012, war gekennzeichnet durch den Beitritt Russlands in die WTO. Die die Arzneimittelversorgung gehörte zu den Arbeitsschwerpunkten der russischen Regierung. Die wichtigsten Änderungen standen im Zeichen der Harmonisierung des Arzneimittelverkehrs, in Russland mit den internationalen Normen.

In Russland fehlt ein einheitliches System zur Subventionierung der Arzneimittelversorgung, lediglich  zehn Prozent der Bevölkerung sind in Subventionsprogramme für Arzneimittel einbezogen. Im Jahr 2012 gehörte deshalb die Ausarbeitung einer neuen Strategie zur Arzneimittelversorgung der Bevölkerung der Russischen Föderation für die Zeit bis 2025 zu den vorrangigen Aufgaben. Die erste Etappe der Umsetzung dieser Strategie (2013-2015) umfasst einen ganzen Komplex von Änderungen am System der Arzneimittelversorgung hinsichtlich der Normen und organisatorischen Strukturen. In der zweiten Etappe (2015-2016) ist die Erarbeitung und Probe von Pilotprojekten geplant. Ziel dieser Pilotprojekte ist zum einen die Erprobung eines optimalen Modells zur Referenzpreisbildung der Arzneimittel und zum anderen die Suche nach Wegen, die die regionalen Unterschiede bei der Subventionierung der Arzneimittel verringern. In der dritten Etappe der Strategieumsetzung (2017-2025) will man erstmals in der Geschichte des Landes vom Gesamtheitsprinzip ausgehen: die Arzneimittel sollen nicht nur für die Vergünstigungsberechtigten, sondern auch für besonders sensible Bevölkerungsgruppen zugänglicher gemacht werden, die aus gesundheitlichen Gründen auf die ständige Einnahme von Medikamenten angewiesen sind.

Darüber hinaus erarbeitete das Gesundheitsministerium 2012 die aktuellen Novellen zum Gesetz „Über den Verkehr mit den Arzneimitteln“. Darin wird vorgeschlagen, unter anderem folgende neue Begriffe einzuführen: „orphane, biologische und bioanaloge Arzneimittel“ sowie „wechselseitig substituierbares Heilmittelpräparat“. Die Regierung hat ein Verzeichnis von 24 lebensbedrohlichen Erkrankungen erstellt, bei denen die Arzneimittelversorgung zentral aus den Mitteln des Föderalhaushaltes erfolgen soll.

Die Politik der russischen Regierung ist insgesamt darauf ausgerichtet, die Abhängigkeit des Landes von ausländischen Fabrikaten zu verringern. Gemäß dem Präsidentenerlass Nr.1 sollen bis zu 90 Prozent der Arzneimittel aus dem Verzeichnis der lebensnotwendigen und wichtigen Präparate in Russland hergestellt werden.  Dies soll aber nicht heißen, dass der Markt für die ausländischen Produzenten geschlossen sein wird. Um die Verlegung der Produktion nach Russland attraktiver zu gestalten, veröffentlichte die Regierung 2012 den Entwurf einer neuen  Regelung für die Durchführung von öffentlichen Ausschreibungen und die Kriterien für die Anerkennung als lokaler Hersteller; darin werden mindestens 15 Prozent Präferenz jenen ausländischen Produzenten zugesprochen, die eine Lokalisierung ihrer Produktion in Russland initiieren.

Somit hat sich in Russland 2012 der Trend verstärkt, sich im Bereich der Arzneimittelversorgung an internationalen Normen zu orientieren.