Saudi-Arabien wächst ungebremst

28.02.2012

Öl ist unverändert das Schmiermittel der Wirtschaft / Kräftige Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur / Wichtigster deutscher Absatzmarkt in der arabischen Welt

Her. RIAD, 27. Februar. Das Erdöl ist unverändert das Schmiermittel der saudischen Wirtschaft. Saudi-Arabien fördert mit 10 Millionen Barrel am Tag so viel Erdöl wie seit 1981 nicht mehr. Immer weniger Petrodollars fließen in die Rücklagen und immer mehr in die  Finanzierung neuer Projekte im eigenen Land. Daher boomt die Wirtschaft. Für das Jahr 2011 hat Finanzminister Ibrahim al Assaf ein Wachstum von 6,8 Prozent bekanntgegeben. Analysten rechnen für 2012 mit einem Wachstum von 4 bis 5 Prozent.

Da seit der Krise die benachbarten Vereinigten Arabischen Emirate kleinere Brötchen backen, ist Saudi-Arabien im vergangenen Jahr zum wichtigsten Handelspartner der deutschen Wirtschaft in der arabischen Welt aufgestiegen. Während in den ersten drei Quartalen 2011 der deutsche Export in die Vereinigten Arabischen Emirate um 12 Prozent abgenommen hat, stieg er nach Saudi- Arabien um 13 Prozent  auf 6 Milliarden Euro. Deutschland ist damit nach den Vereinigten Staaten und China der drittwichtigste Lieferant Saudi-Arabiens.

Mit den anlaufenden neuen Projekten setze sich der Trend 2012 fort, prognostiziert Andreas Hergenröther, der Delegierte der deutschen Wirtschaft für Saudi-Arabien in Riad. Allein im ersten Quartal 2012 empfängt er zehn  Wirtschaftsdelegationen aus Deutschland. "Die Unternehmen zeigen großes Interesse an Saudi-Arabien, und sie verfolgen die Ausschreibungen der Projekte genau", sagt Hergenröther. Denn Saudi- Arabien klotzt: Von 2010 bis 2014 investiert die Regierung in den Ausbau der Infrastruktur und die Diversifizierung der Wirtschaft 400 Milliarden Dollar. Für 2012 hat Finanzminister Assaf einen Rekordhaushalt von 184 Milliarden Dollar vorgelegt. Das Budget liegt damit um 19 Prozent über dem von 2011. In Bildung und Ausbildung fließen 24 Prozent, in das Gesundheitswesen 13 Prozent, in die Branchen Wasser, Landwirtschaft und Infrastruktur 8 Prozent sowie in den Transport und die Telekommunikation 5 Prozent. Die Kehrseite davon ist, dass der Staatshaushalt noch immer zu 80 Prozent aus Öleinnahmen finanziert wird.

Das Institute for International Finance hat errechnet, dass Saudi-Arabien zur Finanzierung seines Staatshaushalts 2010 noch lediglich einen Ölpreis von 66 Dollar für einen Barrel Rohöl benötigt hat. 2011 habe der Gewinnpunkt bereits bei 79 Dollar gelegen, und für 2012 erwartet das Institut, dass das Budget erst bei einem Ölpreis von 90 Dollar ausgeglichen sein werde. Was Saudi-Arabien über diesen Ölpreis hinaus einnimmt, wird seine Devisen- und Goldreserven von 525 Milliarden Dollar - das sind die  viertgrößten auf der Welt - weiter erhöhen. Gestiegen sind diese Reserven auch 2011, als der Staatshaushalt trotz der steigenden Ausgaben mit einem Überschuss von 11 Prozent am Bruttoinlandsprodukt abschloss.

Mit einem dramatischen Ölpreisverfall wie 2008 rechnet in Saudi-Arabien niemand. Gefahren bestehen aber: Saudi- Arabien hatte seine Ölförderung auch aufgestockt, um den Ausfall des libyschen Erdöls zu kompensieren. Schrittweise nähert sich Libyen nun wieder der alten Fördermenge von 1,6 Millionen Barrel am Tag. 2013 will zudem der Irak seine Produktion auf 4 Millionen Barrel am Tag verdoppeln. Zwar könnte die Nachfrage aus Europa abnehmen; aber zwei Drittel des saudischen Ölexports gehen nach Asien und dort vor allem nach China, das in jedem Jahr mehr Öl aus Saudi-Arabien abnimmt. Sollte Iran als Öllieferant ausfallen, hätte alleine Saudi-Arabien eine freie Förderkapazität von 2,5 Millionen Barrel am Tag, die den Ausfall kompensieren und die das Königreich rasch zusätzlich auf den Markt bringen könnte. Vorläufig könne Saudi-Arabien seine Produktion ausweiten und mehr Öl verkaufen, ohne Gefahr zu laufen, dass der Ölpreis sinke, sagt Khan Zahid, der Chefökonom der Investmentbank Riyad Capital. In früheren Zyklen habe das Land hingegen zwischen einer  hohen Fördermenge oder einem hohen Ölpreis wählen müssen. "Heute genießt es beide Welten."

Dennoch geht Saudi-Arabien ein Risiko ein: Der Staatshaushalt steigt schneller als die Förderung von Öl und schneller als die Öleinnahmen. Mit einem Füllhorn von Wohltaten hatte sich die königliche Familie zu Beginn der Arabellion im Februar und März 2011 die Loyalität der Bevölkerung erkauft. In mehreren Dekreten versprach König Abdullah Bin Abdalaziz Al Saud, in den kommenden Jahren für neue Projekte und die soziale Abfederung des Modernisierungsschubs umgerechnet 130 Milliarden Dollar auszugeben. Die Bevölkerung gewöhnt sich an diese Wohltaten, so dass sie, selbst bei einem niedrigeren Ölpreis, kaum mehr rückgängig zu machen wären.

Die steigenden Staatsausgaben erfreuen die einheimische Bevölkerung und auch die internationale Wirtschaft. Der amerikanische Ökonom Zahid identifiziert daher zwei Wachstumsmotoren: Den privaten Konsum, der sich an den steigenden Kreditkartenzahlungen ablesen lasse, und die Regierung, die das Ölgeld über Projekte in die Volkswirtschaft kanalisiere.

Andreas Hergenröther greift aus den vielen Boombranchen, die für deutsche Unternehmen interessant sind, vier heraus. Erstens treibe die saudische Regierung den Bau eines Eisenbahnnetzes voran, das nun aus dem Staatshaushalt finanziert werde. Die  Eisenbahn soll vor allem der Erschließung anderer Bodenschätze als Öl und Gas und damit dem Gütertransport dienen. Zweitens steht der Ausbau der Petrochemie im Vordergrund. Der saudische Ölmulti Aramco und das amerikanische Chemieunternehmen Dow Chemical bauen in Jubail den mit 20 Milliarden Dollar größten petrochemischen Komplex überhaupt. Drittens ist die Gesundheit ein  Wachstumsmarkt. Eine weitere Wachstumsbranche verweist indes auf die Achillesferse Saudi-Arabiens. Der Staatshaushalt
2012 sieht ein Viertel für Bildung und 17 Ausbildung vor. Schulen werden gebaut und müssen ausgestattet werden, ebenso Berufsfachschulen, Universitäten und Forschungszentren. 60 Prozent der Saudis sind 20 Jahre und jünger. Zwei Fünftel der Erwerbsbevölkerung im Alter von 20 bis 24 Jahren sind ohne Arbeit. Einen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit unter den Saudis
kann sich die Regierung aber nicht leisten, will sie die Stabilität des Königreichs nicht aufs Spiel setzen.

Rainer Hermann, FAZ, 27.Feb.2011