Unter Ludwig Erhard wurde der Begriff der sozialen Marktwirtschaft erst in den deutschen Sprachgebrauch und dann als wirtschaftliche Doktrin eingeführt. Im Wesentlichen meint dieses Wirtschaftssystem, die Gewährung der maximalen Freiheit aller Marktteilnehmer zu schützen und für sozialen Ausgleich innerhalb der Gesellschaft zu sorgen. Dadurch wird fairer Wettbewerb garantiert und die besten Anbieter haben die größten Chancen am Markt zu bestehen. Kartelle, Preisabsprachen zu Ungunsten des Verbrauchers und Monopole sollen weitgehend ausgeschlossen sein. Die bis heute einmalige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes, beweist die Richtigkeit dieser Idee.
Am vergangenen Samstag versammelten sich Zehntausende Russen explizit, um gegen die Art und Weise der Durchführung der Wahlen zur Staatsduma zu protestieren. Implizit forderten sie aber auch mehr Liberalität, mehr Transparenz und mehr Wettbewerb im politischen und damit auch im Wirtschaftssystem. Die zu neuem Leben erwachte Zivilgesellschaft forderte keinen radikalen Umbruch, keine revolutionäre Ideen oder drastische Maßnahmen. Die Russen wollen mehr Teilhabe, den Aufbruch des zwar stabilen, aber verkrusteten Systems, den Rückzug des Staates und seiner Beamten aus der Wirtschaft und eine Wahl zwischen wirklichen Alternativen. Im Grunde genommen sind es die Ideen der sozialen Marktwirtschaft, der Wunsch nach unternehmerischer Freiheit, nach individueller Entfaltung und nach dem freien Spiel der Kräfte.
Dass die Demonstrationen friedlich verlaufen sind, könnte ein erstes Zeichen von gegenseitigem Respekt sein. Wenn es gelingt, innerhalb der bestehenden Ordnung mehr Pluralität zu etablieren, in einen Diskurs einzutreten, der allen Fraktionen die Möglichkeit gibt am Meinungsbildungsprozess teilzuhaben und die Wirtschaft von ihren Fesseln befreit wird, dann wird die Evolution Russlands gelingen. Die Wirtschaft hat sich immer dort am besten entwickelt, wo die Marktbeschränkungen auf ein Minimum reduziert wurden. Mehr Freiheit in den Entscheidungen würde auch mehr Vertrauen bedeuten, Vertrauen der Russen in ihr eigenes Land, Vertrauen der Anleger in russische Werte, Vertrauen der Investoren in einen Markt der langfristig attraktiv ist. Wenn diese Veränderung gelingt, dann würden die bisher eher postulierten als gelebten Grundsätze der russischen Wirtschaftspolitik wesentlich einfacher umzusetzen sein: Modernisierung, Diversifizierung, mehr Wettbewerb. Und mit dem Beitritt zur WTO ist auch der Weg aus und nach Russland einfacher. Wir betrachten die derzeitige Entwicklung als große Möglichkeit. Wirtschaft braucht Freiheit und freie Märkte.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein erfolgreiches und gesundes Neues Jahr 2012.
Ihr
Michael Harms,
Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer.