Wenn es um Windenergie geht, ist die Nordsee der perfekte Standort. Denn das Meer ist relativ flach, und der Wind weht in Hülle und Fülle. Eine gute Ergänzung für die Energiewende. Aber es gibt mehrere Nordseeländer, die diese Windenergie nutzen wollen, und außerdem gibt es noch die Fischerei, die Natur und die Schifffahrt. Wie bringt man das zusammen und sorgt dafür, dass alle zufrieden sind?
„Indem man die Nordsee gemeinsam effizient entwickelt“, sagt Thomas Boom, Leiter der Abteilung für politische Angelegenheiten beim niederländischen Netzbetreiber Tennet. Und da, sagt er, gibt es viel zu gewinnen. „Derzeit sind die Windparks noch an einem Punkt an der Küste angeschlossen, so genannte Radialverbindungen.“ Laut Boom sind Windparks, die in ein System von hybriden Interkonnektoren eingebettet sind, die Netze der Zukunft. „In diesem System hat ein Windpark mehrere Anschlusspunkte, die es ermöglichen, Strom an Land zu verschiedenen Orten in verschiedenen Ländern zu transportieren.“ Boom erklärt, dass sie zu diesem Zweck Mesh-Netzwerke verwenden. Diese Netzwerke sind robuster als Netze mit weniger Anschlüssen und daher weniger störanfällig.
„Dank der hybriden Verbindungen können das Vereinigte Königreich und in Zukunft auch Dänemark und Norwegen von dem 40 Kilometer vor der niederländischen Küste gelegenen Windpark profitieren. Denn wenn der Wind stark weht, brauchen die Niederländer nicht immer den ganzen Strom selbst", erklärt er. „Auf diese Weise helfen die Länder sich gegenseitig bei der Energiesicherheit. Außerdem kann einen Teil des Stroms, der nicht verbraucht wird, in Batterien gespeichert oder in Wasserstoff umgewandelt werden.
Zusammenarbeit zwischen den Nordseeländern
Die Grundlage für die Zusammenarbeit ist bereits vorhanden. Die multilateralen Regierungskonferenzen im dänischen Esbjerg (2022) und im belgischen Ostende (2023) haben einen Überblick über die Pläne der verschiedenen Nordseeländer geschaffen. So wollen Deutschland, die Niederlande, Belgien und Dänemark gemeinsam das erste zusammenhängende System von Energieclustern in der Nordsee entwickeln. Bis Mitte 2030 soll das System fertiggestellt werden.
Darüber hinaus will Deutschland bis 2030 über 26 GW Offshore-Windkraft erzeugen. Die Niederlande haben sich für den gleichen Zeitraum 21 GW zum Ziel gesetzt und wollen diese Leistung bis 2050 auf 72 GW ausbauen.
„Wir sind mit der Nordsee gesegnet“, so Boom. „Die umliegenden Länder wollen bis 2050 zusammen 300 GW Energie erzeugen. Das sind etwa 300 mittlere bis große Kraftwerke. Im Vergleich dazu benötigte die Stadt Amsterdam im Jahr 2022 etwa ein Gigawatt.“
Energiesicherheit bleibt abhängig vom Energiemix
Mittlerweile stammen 50 Prozent unserer Energie in Deutschland und den Niederlanden aus erneuerbaren Quellen. Dazu trägt die Offshore-Windenergie in hohem Maße bei. „An einem durchschnittlichen Tag benötigen die Niederlande 15 bis 20 GW, um alle mit Strom zu versorgen“, erklärt er. Bei starkem Wind ist das laut Boom mit Offshore-Wind durchaus machbar. „Aber wie wir wissen, weht der Wind nicht immer so stark. Deshalb brauchen wir mehr Windparks in der Nordsee, die zwischen 50 und 70 GW liefern", sagt er. „Darüber hinaus brauchen wir weiterhin einen Energiemix. Dieser Mix umfasst vorerst Gaskraftwerke und in Zukunft auch Kernkraft, Wasserstoffkraftwerke und Batterien.“
Langfristige Planung
Denn seit dem Krieg in der Ukraine und der anschließenden Energiekrise ist die Nachfrage nach Strom stark gestiegen. „Wir sehen, dass sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen zunehmend auf Strom umsteigen“, sagt Boom. Er erklärt, dass Tennet deshalb ein Zielnetz entwickelt hat. „Damit wollen wir frühzeitig diskutieren, welche Entwicklungen es gibt und wie wir am besten darauf reagieren können. So hoffen wir, schneller reagieren und weiter vorausplanen zu können, bis zu 20 Jahren.“ Boom erklärt, dass der Bau eines Windparks und dessen Anschluss und Integration an das Onshore-Netz schnell zehn Jahre dauert. „Dazu gehören Planung, Genehmigung, Realisierung und Anschluss. Aber auch die Finanzierung kann eine lange Zeit in Anspruch nehmen. Vor allem, wenn wir mit anderen Ländern zusammenarbeiten. Denn dann gibt es auch die Diskussion darüber, wer was bezahlt und wohin die Einnahmen fließen.“
Umwelt, Fischerei und EU-Unterstützung
Die Nordsee ist jedoch mehr als nur Windenergie. Beim Bau von Offshore-Windparks und -Anschlüssen wollen die Länder daher den verfügbaren Platz auf See so effizient wie möglich nutzen. Dabei wollen sie die Erträge maximieren und gleichzeitig Ökosysteme und wirtschaftliche Aktivitäten wie die Fischerei schützen. Daher suchen die Länder auch nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit in Umwelt- und Sicherheitsfragen auf See.
Alles in allem, so Boom, gibt es eine Parallele zu den Anfängen der EU. „Damals sprachen wir über Kohle und Stahl als Grundlage der europäischen Wirtschaft. Heute ist die Windenergie der Motor der zukünftigen Wirtschaft“. Deshalb hält er es für wichtig, dass die EU Kooperationsprojekte finanziell unterstützt. „Schließlich ist die Nordsee das Zukunftsprojekt der Europäischen Union.“
Offshore Summit Berlin
Dass die deutschen Außenhandelskammern der Niederlande, Norwegens und Dänemarks einen North Sea Offshore Summit in Berlin veranstalten, sei daher eine gute Sache, so Boom. „Es fängt damit an, dass man zusammenkommt und miteinander ins Gespräch geht“, sagt er. Wir müssen uns Klarheit darüber verschaffen, wo wir alle hinwollen und welche Lösungen dazu gehören", erklärt er. „Der Austausch von Wissen ist der Schlüssel zum Erfolg.“
Ziel des Gipfels ist es, die wichtigsten Fragen des grünen Übergangs in der Nordsee weiter zu untersuchen. Dazu gehört auch ein Blick auf die Erklärungen von Ostende und Esbjerg. Darüber hinaus soll der Dialog zwischen Politik und Industrie weiter gefördert werden, um die notwendigen Rahmenbedingungen und Folgeschritte zu ermitteln.
Das Video, Fotos und einen Bericht über den North Sea Offshore Summit finden Sie hier.