In Folge der Corona-Maßnahmen mussten viele Einzelhandelsgeschäfte zeitweise ihre Türen schließen, ihre Öffnungszeiten ändern oder die Zahl der Besucher stark reduzieren. Die Frage, auf wessen Risiko die oft weitreichenden wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise gehen, betrifft unter anderem auch Mieter und Vermieter von Geschäftsräumen.
Die Frage, ob Corona Mietminderungen für sogenannte Artikel “290-Geschäftsimmobilien“ (siehe Artikel 7:290 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches, zusammengefasst Geschäfte und Restaurants / Kaffees) rechtfertigt, konnte bis vor kurzem nicht eindeutig beantwortet werden.
Aus einigen Gerichtsurteilen, die in den vergangenen zwei Jahren gefällt wurden, ging hervor, dass unter extremen Umständen wie der Corona-Pandemie, Vereinbarungen in Mietverträgen außer Kraft gesetzt werden können. Eine eindeutige Linie war jedoch nicht vorgegeben, was mit großer Unsicherheit sowohl für Mieter als auch für Vermieter verbunden war.
Mit dem Gerichtsurteil des niederländischen höchsten Gerichtshofs (Hoge Raad) vom 24. Dezember 2021 wurde diese Unsicherheit beendet. Der Oberste Gerichtshof hat in seinem Urteil unter anderem die Frage beantwortet, ob die Schließung einer "290 Geschäftsimmobilie" infolge der Corona-Krise als „unvorhergesehener Umstand“ im Sinne von Artikel 6:258(1) des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs angesehen werden kann. In seiner Entscheidung betrachtet der Oberste Gerichtshof den Umstand, dass ein Mieter die Geschäftsräume infolge der Corona-Maßnahmen nicht oder nur geringfügig nutzen kann, was zu einem Umsatzrückgang führt, als einen "unvorhergesehenen Umstand".
Diese Entscheidung gilt für Mietverträge, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden und keine Klausel über das Coronavirus enthalten. Bei Mietverträgen, die nach dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden, muss das Vorliegen eines „unvorhergesehenen Umstands“ von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände geprüft werden.
Da es eine große Zahl solcher Fälle gibt, in denen der oben beschriebene "unvorhergesehene Umstand" (overmacht) vorliegt, hielt es der Oberste Gerichtshof für angemessen, ein Modell zur Verfügung zu stellen, das eine Handhabe für die Berechnung der Mietminderung in vielen dieser Fälle bietet. In dem Urteil wurde eine Berechnungsmethode formuliert, woraus sich ein Prozentsatz ergibt, um den die vereinbarte Miete durch eine Mietminderung vorübergehend reduziert wird. Dabei muss auch berücksichtigt werden, inwieweit der Mieter bereits durch eine finanzielle Unterstützung durch den Staat entschädigt wurde.
Ferner wurde die Frage beantwortet, ob die behördlich angeordnete Schließung von Geschäftsräumen als mietrechtlicher "Mangel" im Sinne von Artikel 7:204 Absatz 2 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs anzusehen ist. Dabei geht es um die Frage, ob der Mieter einen geringeren Mietgenuss hat, als er erwarten hätte können. Der Oberste Gerichtshof ist der Ansicht, dass die behördlich angeordneten Coronamaßnahmen keinen „Mangel“ darstellen; da es sich nicht um einen Mangel des Mietobjekts im Sinne von Artikel 7:204 (2) des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs handelt, kann der Mieter nicht damit rechnen, von allen finanziellen Verpflichtungen aus dem Mietvertrag befreit zu werden.
Mit diesem Urteil hat der Oberste Gerichtshof nun Klarheit und einen eindeutigen Orientierungsrahmen sowohl für Mieter als auch für Vermieter von geschaffen. Dieses Urteil wird sicherlich auch Auswirkungen auf die Gewährung von Mietminderungen während des jüngsten „Lockdowns“ in den Niederlanden, von Ende Dezember 2021 bis Mitte Januar 2022, haben. Es ist nun deutlich, unter welchen Umständen ein Mieter zu einer Mietminderung berechtigt ist und wie die Berechnung auszusehen hat.