Energie

Versorgungssicherheit ist und bleibt die oberste Priorität

10.10.2022

Lange bevor er CEO von Gasunie wurde, war Han Fennema bereits im Energiegeschäft tätig. Alles begann in Nordfriesland, wo er als Schuljunge einen begehrten Nebenjob als Gaszählerableser bekam. Nach seinem Informatikstudium landete er schließlich wieder im Energiesektor. Der gebürtige Friese steht nun schon seit acht Jahren an der Spitze von Gasunie und wurde dieses Jahr für die nächsten vier Jahre wiedergewählt. Wir sprachen mit Han Fennema über die vergangenen Jahre und über seine Pläne für die kommende Zeit - eine Zeit, in der Energie das zentrale Thema sein wird.

Herr Fennema, Sie sind seit 2014 Vorstandsvorsitzender von Gasunie. Was war für Sie in den letzten Jahren besonders bemerkenswert?

Als ich 2014 diese Stelle bei Gasunie antrat, war Gas bei vielen schon abgeschrieben. Die Regierung legte ein Energieabkommen mit Vereinbarungen über Energieeinsparungen und erneuerbarer Energie vor. Und es gab die "van gas los"-Bewegung - schon damals war klar, dass die Nutzung von Erdgas langsam zurückgehen würde. Als Gasversorger muss man sich genau überlegen, wie man mit einem solchen Trend umgeht. Ich begann also in einem Unternehmen zu arbeiten, das sich als Transportunternehmen für Erdgas auf dem Höhepunkt seines Lebenszyklus befand und voll mit dem Wandel zu einem Unternehmen, das sich auf die Infrastruktur für erneuerbare Energien konzentriert, beschäftigt war.

Große Veränderungen also? 

Ja, und sie kamen viel schneller als wir dachten. Ich erinnere mich an Strategiesitzungen, in denen wir zu dem Schluss kamen, dass Energie aus Wärme wichtig werden wird, ebenso wie die CO2-Abscheidung und -Speicherung. Damals dachten wir, dass wir Wasserstoff nicht vor 2030 nutzen können, aber mittlerweile arbeiten wir intensiv daran. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde. Das ist vor allem in meinem Sektor etwas Besonderes.   

Wie weit sind Sie mit diesen Projekten schon?

Im Bereich des Wasserstoffs entwickeln wir momentan eine ganze Menge. Wir werden das nationale Transportnetz für Wasserstoff aufbauen und arbeiten gemeinsam mit anderen Unternehmen an der Entwicklung von Wasserstofffanlagen. Wir werden den Wasserstoff dann von Rotterdam oder Eemshaven aus zur niederländischen Industrie, aber auch ins deutsche Ruhrgebiet transportieren. Dies werden wir in den nächsten vier Jahren realisieren. Darüber hinaus planen wir auch die CO2-Abscheidung und -Speicherung in ehemaligen Gasfeldern im Meer. Dies wird hoffentlich bald möglich sein.

Es wird viel getan im Bereich der erneuerbaren Energien. Wie steht es um die Versorgungssicherheit?

Die Versorgungssicherheit ist und bleibt das oberste Gebot. Zunehmend wird sie jedoch durch erneuerbare Energie gewährleistet: Wir erleben einen Wechsel von grauen Molekülen zu grünen Molekülen. Die aktuelle Situation zeigt, wie unglaublich wichtig die Versorgungssicherheit ist, und deshalb gilt ihr unsere ganze Aufmerksamkeit. Wir garantieren dies nicht nur für die Niederlande, sondern für ganz Nordwesteuropa. Durch den Wunsch nach größerer Unabhängigkeit bei der Energieversorgung erwarten wir auch eine Beschleunigung der Energiewende.  

Aber wir sind noch nicht in der Lage, hundertprozentig auf erneuerbare Energien umzusteigen. Werden wir vorerst von Ländern wie Russland abhängig bleiben?

Die Realität ist, dass viele fossile Brennstoffe in Ländern produziert werden, von denen wir nicht abhängig sein wollen. Die Lösung liegt in der Diversifizierung, um sicherzustellen, dass man nicht nur von einer Quelle oder einem Land abhängig ist. So baut Gasunie gemeinsam mit Deutschland ein LNG-Terminal in der Nähe von Brunsbüttel. Außerdem haben wir auch ein Terminal in Rotterdam. Diese ermöglichen es uns, verflüssigtes Gas (LNG) einzukaufen und auf dem Seeweg nach Europa zu transportieren. So können wir die Abhängigkeiten verteilen. Das Gleiche gilt für das schwimmende LNG-Terminal in Eemshaven. Diese Anlagen kann man als geopolitische Versicherung betrachten. Das Gute an Wasserstoff ist übrigens, dass er von viel mehr Ländern geliefert werden kann - es gibt viele Regionen, in denen die Sonne scheint, zum Beispiel Südamerika, Afrika, aber auch Südeuropa. Ein weiterer Grund, die Energiewende mit Nachdruck voranzutreiben. 

Welche Rolle spielt Gasunie bei der Energiewende?

Ich denke, dass wir mehrere Rollen übernehmen müssen. Erstens kümmern wir uns um die Infrastruktur, das ist unsere gesetzliche Aufgabe für Erdgas. Daneben haben wir eine Reihe von nicht oder weniger regulierten Aufgaben. So wurde beispielsweise in den Niederlanden noch kein Betreiber eines Wasserstoffnetzes ernannt. Wir als Gasunie haben angedeutet, dass wir damit beginnen wollen. Indem wir die Infrastruktur für Wasserstoff vorbereiten, sind die Unternehmen schneller in der Lage, nachhaltige Energie zu nutzen.  

Außerdem überlegen wir, wie die Energiesysteme der Zukunft aussehen werden, wie sie sich entwickeln könnten und welche Entscheidungen getroffen werden müssen. Wir tun dies gemeinsam mit beispielsweise Tennet und regionalen Netzbetreibern. So haben wir vor kurzem eine Studie durchgeführt, aus der hervorgeht, dass für jedes Szenario ein Wasserstoffnetz und eine Stärkung des Stromnetzes erforderlich sein werden. Mit diesen Erkenntnissen können wir der Regierung helfen, die notwendigen Entscheidungen schnell zu treffen.

Wie stehen die Niederlande bei der Energiewende da?   

Die Niederlande verfügen über ein großes Potenzial in Bezug auf nachhaltige Gase und Moleküle. Wir haben gute Häfen (für LNG und bald auch für Wasserstoff) und die richtige Gasinfrastruktur, die wir auch für Wasserstoff nutzen können. Wir haben Industrie, und wir sind in der Nähe der Nordsee, wo große Windparks gebaut werden. Darüber hinaus verfügen die Niederlande über zahlreiche leere Gasfelder im Meer, die sich für die Speicherung von CO2 eignen. 

Unterscheiden sich deutsche und niederländische Unternehmen in ihren Ansichten zur Energiewende?

Meiner Meinung nach haben wir mehr Gemeinsamkeiten, als wir Unterschiede haben. Beide Regierungen sind engagiert, wenn es um die Umwelt und das Klima geht. Das haben wir gemeinsam, und das gibt Unternehmen aus beiden Ländern einen extra „Push“. Ich finde jedoch, dass es kleine Unterschiede in der Herangehensweise gibt. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen in Deutschland vor allem auf die Regierung schauen, wenn es um Ideen oder Regelungen geht. Erst nachdem alle Vorschriften erfüllt worden sind, geht es an die Arbeit, die dann womöglich gar nicht lange dauert. In den Niederlanden kann man anfangen, bevor etwas gesetzlich geregelt ist - wir vertrauen darauf, dass es klappt. Zudem wird bei uns in den Niederlanden viel debattiert, wie zum Beispiel an den sogenannten Klima-Tischen im Kabinett.  Sechs Monate lang finden Freitagnachmittags Sitzungen statt und am Ende kommt ein Ergebnis dabei heraus, mit dem alle einverstanden sind. Ein weiterer großer Unterschied ist, dass in Europa Deutschland und Frankreich eine führende Rolle spielen. In dieser Hinsicht sind die Niederlande stärker von den umliegenden Ländern abhängig.

Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus?

Im Bereich der Energiewende sind die Ambitionen überall sehr groß. Sie werden von der Europäischen Kommission stark vorangetrieben. Allerdings könnte die Umsetzung besser koordiniert werden. Ein Beispiel dafür ist, dass Deutschland aus dem Betrieb von Kernkraftwerken aussteigt, während die Niederlande sie bauen wollen. Oder dass die Niederlande Kohlekraftwerke schließen werden und Polen seine Kapazität erhöhen will. Man kann natürlich versuchen, als einzelnes Land auf einer Nachhaltigkeitsrangliste ganz oben zu stehen, aber im Hinblick auf den CO2-Ausstoß ist damit wenig gewonnen. Das ist ein Problem, das wir hoffentlich bald lösen werden. Die Krise rund um den russischen Krieg in der Ukraine zeigt, dass Europa zusammenhält. Trotz der traurigen Umstände stimmt mich das positiv. 

Wer trägt letztendlich die Verantwortung? Die Politik, die Wirtschaft oder die Verbraucher?

Die Regierung schafft die Rahmenbedingungen, die Unternehmen setzen sie um, und die Verbraucher tragen ihren Teil dazu bei. Wir müssen es gemeinsam angehen. Als Gasunie sehe ich es als unsere Aufgabe an, anderen Branchen zu helfen, den Übergang zu beschleunigen. Aber die Geschäftswelt verfügt über ein unglaubliches Wissen, und das gilt sowohl für die Niederlande als auch für Deutschland. Die Unternehmer müssen Verantwortung übernehmen und über die Gewinn- und Verlustrechnung hinausblicken. Als staatliches Unternehmen ist das natürlich leichter gesagt als als privates Unternehmen. Aber nochmals: Wir müssen das alles gemeinsam tun.

Welche Rolle haben wir als Europa?

Europa ist wohlhabend und entwickelt. Die westliche Welt hat in der Vergangenheit am meisten CO2 in die Luft ausgestoßen. Deshalb haben wir auch die Verantwortung, in neue Technologien zu investieren und erneuerbare Energiequellen zu entwickeln, die auch dem Rest der Welt zugutekommen.   

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